2025: Künstliche Intelligenz (KI; treffender: maschinelles Lernen) ist aus dem Marketing kaum noch wegzudenken. Die Hoffnung: Mit neuen KI-Systemen sollen Unternehmen vollautomatisch und kostengünstig Kund_innen erreichen und beeinflussen.
Doch die Vorhersagen über KI sind eher unterschiedlich.
Manche prophezeien, dass Zigtausende Jobs wegfallen werden. So hat British Telecom bereits 2023 angekündigt, bis 2030 55.000 Stellen abzubauen – aufgrund des geplanten Einsatzes von KI.
Einige fürchten, dass die KI die Weltherrschaft übernehmen und Menschen unterjochen könnte.
Andere sorgen sich um die Zukunft der Demokratie: Aktuelle gesellschaftliche Trends wie Desinformation und Fake News oder Wahlmanipulation durch soziale Medien würden durch KI verstärkt.
In der Debatte rund um maschinelles Lernen im Marketing kristallisieren sich zwei Extreme heraus:
- Viele skeptische Marketing-Profis greifen auf bewährte manuelle oder automatisierte Prozesse ohne KI zurück und warten erst einmal ab.
- Influencer_innen und die, die es werden wollen, veröffentlichen hingegen LinkedIn-Posts und Blogartikel, in denen sie maschinelles Lernen zum Nonplusultra deklarieren. Nach dem Motto: „Bald brauchen wir keine Texter_innen mehr, ChatGPT schreibt all unseren Content!“
3 KI-Experten. 3 Perspektiven. 3 Prinzipien.
Wie so oft bieten die Extreme kaum Orientierung für fundierte Entscheidungen. Daher haben wir drei KI-Experten befragt:
- Michael Mörike, Vorstand der Integrata-Stiftung für humane Nutzung der Informationstechnologie. Als Informatikpionier richtete er schon 1969 Prozessrechner für die Uni Tübingen ein. Seitdem war er in der Geschäftsführung verschiedener Unternehmen sowie als freiberuflicher Projektleiter tätig. Heute setzt er sich maßgeblich für die Verbreitung von Kenntnissen über die Grundlagen zu „Ethik und KI“ ein.
- Dr. Ingmar Schuster, CEO & Co-Founder von Exazyme. Das deutsche Start-up nutzt KI, um den Prozess des Protein-Engineering in der Pharma- und Biotechnologie-Branche zu vereinfachen und beschleunigen.
- Dylan Thompson, Co-Founder und Head of Product & Design bei Balloonary. Das luxemburgische Marketing-Start-up sieht sich als Self-Service-Werbeagentur mit KI-Autopilot für KMUs und Solo-Selbstständige.
Gemeinsam bringen wir Licht ins Thema – und stellen dir 3 zentrale Prinzipien vor, um maschinelles Lernen ethisch verantwortlich im Marketing zu nutzen.
1. Betrachte maschinelles Lernen als Werkzeug, nicht als Zauberstab
Zur Einschätzung von Chancen und Risiken ist es hilfreich, KI nüchtern zu betrachten. Hoch entwickelte Technologie erweckt leicht den Eindruck, etwas geschehe „automagisch“ – während in Wirklichkeit klar definierte Prozesse ablaufen. Als Laien können wir sie bloß nicht beobachten oder erklären.
Den meisten Menschen geht es nicht nur mit KI so. Viele von uns nutzen täglich Kühlschränke, W-LAN oder TV-Fernbedienungen, können aber nicht im Detail beschreiben, wie sie funktionieren. Dennoch glauben wir nicht, dass es hier um Zauberei geht – und schätzen die technischen Möglichkeiten ziemlich realistisch ein.
Wenn wir mit derselben Haltung maschinellem Lernen begegnen, sind wir gut gewappnet gegen den Hype. Zugleich schützen wir uns vor Panikmache.
Laut Ingmar Schuster haben wir es „nicht mit Magie zu tun, sondern mit Mathe“. Für ihn ist KI einfach ein besonders nützliches Werkzeug:
Richard Feynman hat einmal ein buddhistisches Sprichwort zitiert: „To every man is given the key to the gates of heaven; the same key opens the gates of hell.”
Das ist schon bei einfachen Werkzeugen so – Messer und Hammer sind unheimlich praktisch im Alltag, aber können auch als Mordwaffe benutzt werden.
KI ist eine absolute Schlüsseltechnologie. Wir können sie nicht einfach zurück in eine Kiste stecken und hoffen, dass nichts passiert. Wir müssen während der Benutzung lernen. Und wir werden dabei Fehler machen.
Sehr konkret: Es ist legitim, mit KI Medikamente zu entwickeln. Aber mit der gleichen KI, die therapeutische Wirkung eines Medikaments maximiert und Toxizität minimiert, kann man auch ein Gift herstellen. Man muss dafür nur eine Zahl mit -1 multiplizieren, und das ist absolut wörtlich gemeint. Das könnte illegitim sein – aber auch dafür gibt es Anwendungen wie Sterbehilfe, die zum Beispiel in der Schweiz erlaubt ist.
Eigne dir Grundkenntnisse in maschinellem Lernen an
Schon mal einen Kühlschrank gekauft?
Die meisten Kund_innen informieren sich über den Markt, bevor sie sich für ein Modell entscheiden. Beinahe unbemerkt lernen sie dabei eine Menge über Kühlschränke:
- Welche Features es gibt
- Welche Merkmale für den Preis ausschlaggebend sind
- Welche Marken in welchem Energiesparsegment vertreten sind
- Vielleicht sogar, welche Kühlmittel FCKW ersetzt haben
Mach es bei KI-Tools genauso.
Du brauchst nicht gleich Computer Science zu studieren. Doch mit einem grundlegenden Überblick über den Markt vermeidest du Fehltritte.
Tipp: Was du zu KI wissen solltest
Unsere drei Interviewpartner empfehlen folgende Themen als Einstieg:
- Was ist künstliche Intelligenz?
- Was lernen Maschinen?
- Wie lernen sie es?
- Wie funktionieren Algorithmen?
- Was sind Regression und Klassifikation?
- Wie werden komplexe Inhalte (beispielsweise Bilder) erzeugt?
- Wie wirkt sich Bias im Kontext von KI aus?
- Wie sehen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von maschinellem Lernen aus? Besonders Datenschutzvorschriften wie die DSGVO, aber auch Urheber- und Persönlichkeitsrechte spielen hier eine Rolle.
Halt den Ball flach: KI kann nicht alles können
„Intelligenz ohne Körper, ohne eigene Erfahrungen mit der Umwelt ist kaum möglich“, urteilte Markus Knauff, Professor für Psychologie und Kognitionsforschung an der Universität Gießen, 2020 in Psychologie Heute. „Und Intelligenz ohne echtes Wissen über die Welt, ohne die Möglichkeit, etwas als wahr oder falsch, als Ursache oder Wirkung zu erkennen, ist kaum vorstellbar.“
Dies echte Wissen, eigene körperliche Erfahrungen, stehen KI nach wie vor nur über Umwege zur Verfügung: durch von Menschen erdachte Sensoren, durch menschliches Feedback – oder als Text, Foto, Video im Trainings-Datenpool. Letzterer ist häufig nicht auf Echtheit oder Repräsentativität hin optimiert.
Die Folge:
- Fakt, Falschinformation und Fiktion werden gleichberechtigt beim Training genutzt.
- Wer keine Cookies akzeptiert oder Inhalte veröffentlicht, bleibt für die Algorithmen unsichtbar.
- Gesellschaftliche Schieflagen werden unkritisch reproduziert, wenn die KI nicht explizit antirassistisch, antisexistisch und inklusiv konzipiert wurde.
Knauff zitiert die bekannte Redensart: garbage in, garbage out. „Wo du Müll hineinsteckst, kommt auch Müll heraus.“
Kurz vor dem Ende des Drittpartei-Cookies wird die Frage nach den Datenquellen erneut relevant. Vieles, was KI bisher über unser Online-Verhalten wusste, erfuhr sie über Tracking-Cookies. Wo diese Möglichkeiten wegfallen, sind Unternehmen auf freiwillige Angaben ihres Publikums angewiesen. Qualitativ hochwertige Informationen statt garbage erhält aber nur, wer ein solides Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Sonst drohen massenweise Fake-Profile und -umfrageergebnisse die Datengrundlage zuzumüllen.
Nicht zuletzt gehören auch die Prompts (Anweisungen an die KI) zum Input. Gute Prompts zu schreiben ist ein Fach für sich! Viele enttäuschte Nutzende hätten mit mehr Kenntnissen über Prompts womöglich bessere Ergebnisse erzielt. Auch hier gilt also das Motto vom Müll.
Faustregel: Je klarer umrissen der Einsatzbereich, um so höher die Chancen für ethisches Marketing mit KI
Mit ChatGPT oder Jasper Webinare transkribieren, daraus den kompletten Marketingfunnel inklusive aller Inhalte erstellen – vom YouTube-Video über E-Mails bis hin zur Landing Page – und das vollautomatisch: So ähnlich sieht die nahe Zukunft aus, die mancher LinkedIn-Post prophezeit.
Doch wer regelmäßig Interviews transkribiert oder Übersetzungssoftware nutzt, weiß: Künstliche Intelligenz produziert allerhöchstens mittelmäßige Inhalte. Erfolgreiches Marketing baut nämlich Beziehungen auf und pflegt sie. Das geht nicht ohne Originalität und Emotion.
Genau darin ist KI (noch) schwach, sagt Dylan Thompson:
KI kann zweifellos dabei helfen, viele Prozesse zu optimieren, allerdings sollte das persönliche Element nicht zu kurz kommen. Das merken wir auch selbst immer wieder mit unseren eigenen Kunden. Selbst wenn viele Unterhaltungen in unserem Live-Chat auch von KI geführt werden könnten, gibt es immer wieder Sonderfälle, in denen eine KI nicht weiter käme.
Echte Empathie, Authentizität und Flexibilität, die in der Kommunikation mit Kunden nötig sind, können zumindest heute von KI-Systemen noch nicht vollständig ersetzt werden.
Deswegen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass KI jemals menschliche Designer_innen und Texter_innen ersetzen wird. Auch Neil Patel glaubt, dass man immer Menschen brauchen wird, die die Marke erschaffen, bezahlte Werbung erstellen und zu anderen Menschen in der Begegnung eine emotionale Bindung aufbauen. Denn KI könne allenfalls stellenweise hilfreich sein. Er beobachtet, dass Firmen schon jetzt durch die Verwendung von KI im Marketing faul würden und Aspekte, die von KI nicht übernommen werden können, vernachlässigen.
Da spiele es auch keine Rolle, ob KI-generierte Inhalte für Suchmaschinen optimiert seien. Denn es gebe bereits für einen Großteil der Keywords viel mehr optimierte Webseiten als Suchanfragen. KI-Tools mögen zusätzliche, optimierte Inhalte erstellen – aber Google sei ohnehin dabei, den Algorithmus und damit die Suchergebnisse stetig zu verbessern. Dabei stehen Qualitätsmerkmale wie die Urhebermarke, Zitate und Verlinkungen oder Aktivität in sozialen Medien im Vordergrund. Und die sind allesamt außer Reichweite von KI.
Zusammengefasst: Je klarer ihr euch darüber seid, wo die Grenzen eurer KI-Nutzung im Marketing liegen, um so eher werdet ihr damit Erfolge sehen. Orientiert euch an der 80-20-Regel: KI kann uns 20 % des Aufwands abnehmen. 80 % der gedanklichen Vorarbeit, Strategien und Inhalte müssen von Menschen kommen, damit KI überhaupt sinnvoll arbeiten kann.
Tipp: „Tiny Tests“ als sichere KI-Sandbox
In folgenden Marketing-Kontexten lässt sich KI prima ausprobieren:
SEO-Recherche und -Briefings: Aufgrund der Google-Suchergebnisse zu bestimmten Keywords kann KI herausarbeiten, welchen Aufbau erfolgreiche Texte haben. Manche Tools erstellen bereits umfangreiche Briefings und zeigen per Ampelsystem an, inwiefern ein Entwurf die nötigen Themen abdeckt.
Variationen desselben Texts für verschiedene Nutzungsszenarien erstellen lassen:
- Textalternativen für Validierungsexperimente wie zum Beispiel A/B-Tests
- Exzerpte für Blog-Übersichtsseiten
- SEO-Meta-Beschreibungen
- Kurzprofile und -beschreibungen für soziale Medien, Online-Shops und Ähnliches
- Ausformulieren von Stichpunkten
- Grobe Übersetzungen ohne Werbeabsicht oder rechtliche Relevanz, vor allem in verwandte oder viel genutzte Sprachen
- Inhaltliche Recherche für geplante Inhalte – unter Verwendung fortgeschrittener Prompts
Kleine Einsatzgebiete schaffen Raum für Lernen und Experimente, ermöglichen den Aufbau einer robusten Datengrundlage und verhindern die von Neil Patel zitierte Faulheit.
2. Setzt maschinelles Lernen ein, um eure Mission optimal zu erfüllen
Prüft, wie die Ziele von KI-Tools euren Werten dienen
Ist es ethisch sinnvoll,
- dieses Tool
- auf diese Art
- zu diesem Zweck zu verwenden?
Die Antwort darauf könnt ihr vom ethischen Kompass eures Unternehmens ablesen: eurem Intention Stack aus Vision, Mission, Ziele, Werte und Prinzipien. Wie jede App ist auch KI eine strategisch-taktische Entscheidung.
Profitmaximierung sollte nie das einzige Ziel der KI-Nutzung sein
Nehmen wir den Einsatz von KI für targeted Ads (zielgerichtete Werbung) als Beispiel. Dylan Thompson sieht eine Menge Chancen, aber auch Gefahren:
Mit KI sehen wir wahrscheinlich weniger völlig unterdurchschnittliche Inhalte. Präziseres Targeting dürfte dafür sorgen, dass Nutzende weniger mit Werbung in Kontakt kommen, mit der sie nichts anfangen können. Hier hat KI auch und gerade bei Einhaltung des Datenschutzes die Chance, mehr rauszuholen. Also präziseres Targeting trotz solidem Datenschutz. …
Auch wenn viele beim Thema „generative KI“ an die Erzeugung von Inhalten denken, so öffnen sich eine ganze Menge weiterer Anwendungen, die aktuell nicht ganz so viel Aufmerksamkeit bekommen. Dazu zählen zum Beispiel die Analyse und Vorhersage von Nutzer_innenverhalten und letztlich deren Beeinflussung.
Im Marketing spielt das Überzeugen von Menschen natürlich immer eine Rolle. Allerdings beginnt die Gefahr in meinen Augen, wenn wir KI für die interaktive Kommunikation mit Nutzenden gezielt im Rahmen von Kampagnen einsetzen. Geeignete Systeme hätten vermutlich umfassendes Wissen über den_die Nutzer_in und deren vorheriges Verhalten und wären darauf trainiert, Menschen zu überzeugen. Für mich ist das eine Linie, die wir nicht überqueren sollten.
Auch Ingmar Schuster sieht vor allem die Absicht hinter der Taktik als Risiko:
Zielgerichtete Werbung an sich ist eigentlich moralisch für mich das größere Problem als die Frage, ob die Inhalte handgeschrieben oder KI-generiert sind. In Donald Trumps Wahlkampf beispielsweise wurden seine Positionen in „persönlichen Nachrichten“ in sozialen Netzwerken angepasst, je nachdem, ob es sich bei den Wahlberechtigten um Waffenliebhaber handelte, die Abtreibung befürworteten, oder Abtreibungsgegner, die Waffen reglementieren wollten.
Deshalb ist es so wichtig, dass Unternehmen mehr antreibt als Profit. Michael Mörike erklärt:
KI verfolgt keine anderen Ziele als die, die wir Menschen haben. Die Ziele der KI sollten wir mit unseren Werten vergleichen. Wenn es Ziel der KI ist, möglichst viel über Kund_innen zu erfahren, damit ich sie möglichst gut ausnutzen kann – dann ist es nicht ethisch vertretbar.
Governance für den Einsatz von KI im Unternehmen: besser früher als später
Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung setzt den moralischen und gesetzlichen Rahmen. Doch KI hat das Potenzial, diese Grundordnung anzugreifen. Wenn ihre Ziele nicht dem Gemeinwohl dienen, muss das nicht die Absicht der Nutzenden sein: Sie wurde vielleicht wertfrei, rein auf finanzielle Erfolgsquoten hin, trainiert.
In der EU und in Deutschland wird deshalb über Regulierung gesprochen. Werte und Prinzipien wie wahrheitsgemäße Werbung, ein Verbot diskriminierender Zielsetzungen und Datenschutz sollten auch für KI gelten. Aufgrund der Komplexität von KI wird auch ihre Anwendung komplexer. Beispielsweise berichtet The Drum, dass Muster-Daten und Informationen zu einzelnen Nutzer_innen extrem umfangreiche Datensätze ergeben. Mit deren Hilfe könne man individuell vorhersagen, in welchen Szenarien eine Kampagne für sie relevant ist. Qualifizierten diese Vorhersagen automatisch, wem ein Unternehmen welche Angebote macht, stelle sich die Frage nach Inklusion. Wen schließen wir systematisch aus – womöglich, ohne es zu wissen?
Tipp: Setzt bewusste Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI
Die DSGVO befasst sich mit fairer Datennutzung und automatisierten Entscheidungen.
Grundsätzlich empfehlen wir aber immer, dem Gesetz möglichst weit voraus zu sein.
Generative KI-Tools wie ChatGPT werden derzeit als besonders riskant eingeschätzt. Ein (firmenweites) Verbot wäre unrealistisch. Gemeinsame Regeln hingegen bilden eure Teams weiter, sorgen für einheitliche Standards und schützen vor unbedachten Übertretungen.
Beispielsweise solltet ihr regeln, welche Inhalte in öffentliche Tools kopiert werden dürfen: Sind öffentlich zugängliche Texte oder Bilder von der Website OK? Oder soll grundsätzlich nur firmeneigene KI genutzt werden?
3. Transparenz ist das A und O
Erinnerst du dich an das Transparenz-Prinzip (publicity principle) aus Kapitel 2.2? Auch für die ethische Beurteilung von KI im Marketing ein prima Gedankenspiel!
Tipp: Transparenz-Prinzip
Stell dir vor, ihr würdet jeden Einsatz von KI öffentlich machen.
- Welche Konsequenzen hätte das?
- Unter welchen Bedingungen fiele es dir leicht(er)?
- Was müsstest du über Anbieter, Funktionsweise, Zielsetzung und Einsatzgebiet wissen, um eure Nutzung rechtfertigen zu können?
Achtet bei der Wahl von Anbietern auf Transparenz
KI-Anbieter wollen selbstverständlich ihr intellektuelles Eigentum schützen. Das sollte aber nicht zu nebulösen Websites führen! Die folgenden drei Fragenkataloge bieten euch Orientierung.
Sucht Informationen über den Anbieter
Bei der Suche nach Tools empfehlen wir immer ein paar grundlegende Checks:
- Steht auf der Website, wo das Unternehmen sitzt?
- Was treibt das Team an?
- Wie verständlich und informativ ist die Datenschutzbestimmung?
- Wie funktioniert das Tool?
Gibt es kein Impressum, kein aussagekräftiges Über Uns und nur umständliches Rechtsdeutsch? Dann kommt das Tool nicht auf die Shortlist.
Ingmar Schuster rät zusätzlich,
nicht bei Anbietern zu kaufen, die keine Modelle selbst entwickeln. Die versuchen vermutlich nur auf der Welle zu reiten und sind schnell wieder verschwunden.
Und es wäre gut, wenn im Team des Anbieters echte Expert_innen arbeiten. Ein paar Leute, die in Mathe / Statistik / Informatik / Physik promoviert oder wissenschaftliche Papiere veröffentlicht haben, sind im Moment schon noch ein guter Ausweis dafür.
Beispiel: Balloonary
Selbstständigen und KMUs ermöglicht die Plattform Balloonary, durch Online-Werbung Aufmerksamkeit zu bekommen — und es so mit größeren Platzhirschen aufzunehmen. Vorerfahrung mit Online-Ads ist dazu nicht nötig.
KI erlaubt der Software, Nutzenden in Echtzeit genau angepasste Vorschläge für ihre Anzeigen zu machen.
Dabei wird ein Großteil der Prozesse, die normalerweise bei der Kontaktaufnahme mit einer klassischen Werbeagentur ablaufen, automatisiert: Du gibst deine Website-Adresse ein, Balloonary scannt sie und lernt darüber deine Marke und dein Angebot kennen. Aufgrund dieser Information generiert die Software Anzeigenvorschläge und erzeugt auf Wunsch neue Varianten. Diese Anzeigen lassen sich direkt aus Balloonary auf den großen Plattformen wie Google, Facebook und Instagram ausspielen.
Sucht Informationen zur Zielsetzung beim Training des Tools
Michael Mörike empfiehlt folgende Fragen:
- Welche Ziele hat die KI?
- Wie wurde sie trainiert?
- Mit welchen Daten wurde sie trainiert?
- Wie funktioniert das KI-Produkt technisch?
Er erklärt:
Das Offenlegen der Trainingsziele passiert viel zu selten. Diese Ziele bewegen sich in einem Anwendungsgebiet, und dieses Anwendungsgebiet kann die KI durch nichts in der Welt überschreiten.
Das heißt, wenn zurzeit Befürchtungen umgehen, die KI könnte uns eines Tages beherrschen, dann braucht die KI das Ziel, uns beherrschen zu wollen. Das kommt nicht von ungefähr, das muss man ihr explizit vorgeben.
Es würde dem Marketing der Anbieter helfen, wenn sie bei der Gelegenheit immer eine ausführliche technische Erklärung beilegen. Das schafft Vertrauen. Und das schafft auch ein bestimmtes Verhältnis der Kund_innen zu diesen Produkten, weil sie sie nämlich verstehen.
Indem die Ziele und Anwendungsgebiete der KI klar dargestellt werden, wird den Menschen nämlich klar, dass die KI eingeschränkt ist und nur beschränkt genutzt werden kann.
Prüft, wie transparent der Anbieter über Datennutzung berichtet
Mindestens sollte für euch ersichtlich sein:
- Werden Daten, die ihr eingebt oder hochladet, zum Training der KI genutzt?
- Zu welchem Zweck werden die Daten gespeichert und verarbeitet?
Stolperfalle: Anonymisierte Daten
Viele Unternehmen verarbeiten anonymisierte Daten. So auch KI-Anbieter, die damit maschinelles Lernen „füttern“.
Doch „anonymisiert“ ist nicht gleich „anonym“. Das Risiko der Re-Identifikation wird lediglich begrenzt, sodass es unter einem definierten Schwellenwert liegt.
Es ist deshalb nicht immer auszuschließen, dass eine KI verschiedene Quellen so kombiniert, dass Personen re-identifiziert werden können. Die Nutzung anonymisierter Daten könnte dann gegen die DSGVO, Persönlichkeitsrechte oder andere marketingbezogene Vorschriften verstoßen.
Geht transparent mit eurer Nutzung von maschinellem Lernen um
Dylan Thompson versteht die Forderung, mit KI generierte Inhalte zu kennzeichnen. Dafür sprechen aus seiner Perspektive unter anderem Transparenz und das Verhindern von Desinformation.
Dennoch ist er nicht davon überzeugt, dass eine Kennzeichnung diese Probleme tatsächlich lösen würde – und gleichzeitig würden neue Probleme geschaffen:
Zum Beispiel wäre es schwierig bis unmöglich, KI-generierte Inhalte nachzuweisen. Eine Kennzeichnungspflicht würde potenziell die künstlerische Freiheit einschränken und grundsätzlich weitere Innovation hemmen. Die Situation erinnert mich leider sehr an die Regulierung um die allgegenwärtigen Cookie-Banner.
Ganz unabhängig von der rechtlichen Entwicklung lohnt es sich aber, die Nutzung von KI im Marketing nicht komplett zu verschweigen. Transparenz ist schließlich keine Einbahnstraße, sondern eine Kette von Vertrauen. Genau wie ihr lieber mit Anbietern arbeitet, die euch nichts verheimlichen, geht es auch eurem Publikum.
Ähnlich wie beim Datenschutz bietet sich eine Risikobewertung an.
Beispiel: Risikobewertung der KI-Nutzung im Online-Marketing
Kommt die Keyword-Recherche für den Blogartikel aus dem KI-Tool? Das Risiko für Lesende und Gesellschaft scheint eher gering.
Wird euer gesamter Firmenblog von KI übersetzt und nicht weiter von Fachleuten lektoriert? Übersetzungsfehler erzeugen nicht zu unterschätzende Risiken. Vor allem Missverständnisse, unabsichtlich beleidigende oder irreführende Inhalte können zum Ansehensverlust für die Marke führen. Ihr solltet auf die KI-Übersetzung hinweisen und Feedback-Optionen einbauen.
Bietet ihr einen Live-Chat an, der ausschließlich KI-Assistenz bietet? Je nach Branche entstehen größere oder kleinere Risiken für Nutzende und die Gesellschaft. Die KI könnte Menschen diskriminieren, verprellen oder falsch beraten. Nutzende könnten der KI sensible Daten zur Verfügung stellen oder aus schlechten Erfahrungen den Anbieter wechseln. Ihr solltet unbedingt transparent machen, wie ihr mit KI arbeitet, und stets die Möglichkeit zum Kontakt mit dem Team bieten.
Ingmar Schuster wünscht sich zudem, dass fotorealistische, KI-generierte Bildinhalte gekennzeichnet werden:
Hier könnten leicht ‚Fakten‘ fabriziert werden. Viele Menschen halten Fotos leichtfertiger für Abbilder der Wirklichkeit als Texte.
4. P. S.
Auch bei High Tech darf der Spaß nicht zu kurz kommen. Deshalb hier noch eine Idee für eine nette Team-Aktivität.
Ratespiel: Mensch oder Maschine?
Lasst fürs nächste Team-Meeting eine KI ein paar alternative Betreffzeilen oder Headlines für eure Kampagnen schreiben. Lest eure Originale und die „Ideen“ der KI nach dem Zufallsprinzip vor und ratet, wer sie geschrieben hat. (Nach demselben Prinzip können Design-Agenturen mit Logos verfahren.)
Wie soll’s weitergehen?
Etabliert datenschutzfreundliches Marketing an den praktischen Beispielen SEO und CRO oder stöbere direkt in der Toolbox zu Kapitel 3.