Simon Sineks berühmter TEDx-Talk sowie sein Buch mit dem Titel „Start with Why“ haben für viele Firmen die Frage nach dem Warum in den Mittelpunkt gestellt. Genau wie das erste Kapitel dieses Leitfadens.
Wenn es um praktische Marketingfragen geht, hilft das allerdings nur bedingt weiter.
Menschen wollen nicht mit „Guck mal, wie toll wir sind“-Botschaften zugedröhnt werden. Damit Marketing Erfolg hat, muss es zum Publikum passen und Vertrauen aufbauen. Mit anderen Worten: eine Beziehung pflegen.
Nach dem Intention Stack ist also die erste Frage, die wir beantworten müssen:
Start with Who: Für wen ist unser Marketing eigentlich?
Denn alle weiteren Entscheidungen hängen davon ab, welches Versprechen, welche Ideen und welche Handlungsaufforderung für die Person relevant sind, die wir erreichen wollen.
– Wenn wir nicht wissen, an wen wir uns richten, scheint Manipulation der letzte Ausweg
Im Englischen fallen im Zusammenhang mit effektivem Marketing und Conversion oft Begriffe wie „persuasive copy“ und „trigger the right emotions“.
(Ein Beispiel: Neil Patels Blogartikel 5 Copywriting Strategies That Will Improve Your Conversion Rate by 113%, zu Deutsch: „5 Copywriting-Strategien, die deine Conversion-Rate um 113 % steigern werden“.)
Aus Sicht des ethischen Marketings wirkt diese Ausdrucksweise manipulativ. Darüber hinaus ist sie irreführend.
Denn Überredung und das listige Spiel mit den Emotionen bewirken keine nachhaltige Veränderung. Sie führen zu Käufen und Kurzschlussentscheidungen, die die Menschen später bereuen.
Die Folge: Rücksendungen und Beschwerden, Energie-, Zeit-, Geld- und Ressourcenverschwendung. Eine dauerhaft positive Kund_innenbeziehung sieht anders aus.
Im Gegensatz dazu steht beim ethischen Marketing im Vordergrund, dass wir Menschen da abholen, wo sie stehen:
- Wir schwatzen ihnen keine Gefühle auf, die sie nicht haben, sondern bündeln ihre bestehenden Emotionen so, dass sie eine sinnvolle Handlung ergreifen.
- Wir reden ihnen keine Probleme ein, sondern helfen ihnen, sich verstanden zu fühlen und für sich die beste Lösung zu finden.
- Wir nehmen unsere Lesenden ernst, statt ihnen eine bestimmte Sichtweise aufzuzwingen.
All das ist nur möglich, wenn wir unser Publikum ausreichend kennen. Rein demografisch ausgelegte Personas sind da wenig hilfreich. Wirkungsvolles Marketing beruht auf Details und einem Gefühl von Intimität. Es erzeugt den Eindruck: „Diese Marke kennt mich – dieses Produkt ist für Menschen wie mich – da fühle ich mich verstanden.“
Dabei kommt ethisches Marketing ohne creepy Datenkraken und Überwachungskapitalismus aus.
Checkliste: Diese Infos helfen dir beim ethischen Marketing
- Welche relevanten Probleme hat unser Publikum?
- Welche Bedürfnisse und Sehnsüchte haben diese Menschen?
- Welche Mythen und falschen Vorstellungen können wir aufklären, um ihnen zu helfen?
- Welche Barrieren und Hindernisse stellen sich unserem Publikum möglicherweise in den Weg?
- Sind sie eng mit unserer Branche und Wettbewerbern vertraut? Oder ist das Thema noch ganz neu für sie?
- Wie entscheiden sich Leute für ein bestimmtes Angebot in unserer Branche?
- Welche Wörter und Wendungen nutzen sie, um über das Thema zu sprechen?
- Wie gut kennt dieses Publikum unsere Marke, unser Sortiment und das spezifische Produkt, um das es hier geht?
- Welche Funktion hat unser Produkt/unsere Leistung für diese Gruppe (laut Jobs-to-Be-Done-Theorie)?
- Wie passt unser Angebot in den Alltag unserer Zielgruppe?
Diese Erkenntnisse sind wichtig, um Menschen emotional abzuholen und die richtigen Argumente zu präsentieren. Nebenbei hilft das auch beim Ermitteln der Keywords für SEO.
Wie du herausfindest, was euer Publikum denkt
Oft wird vorausgesetzt, dass Marketing nur funktioniert, wenn alle im Team Profis in Google Analytics, Click-Tracking und Heat-Mapping sind.
Während solche analytisch-quantitativen Skills durchaus helfen, sind sie weit weniger wichtig als Fertigkeiten im qualitativen Bereich.
Solange man selbst redet, erfährt man nichts.
– Marie von Ebner-Eschenbach
Interviewtechniken, Planung und Durchführung von Befragungen sowie die gezielte Analyse von Bewertungen, Social-Media-Kommentaren und Kundenservice-Anfragen haben einen höheren Erkenntniswert als Zahlen und Daten. Denn zu wissen, was Leute online tun, ist nur die halbe Miete.
Effektives Marketing beruht auf Empathie und Verständnis: Wieso schließen sie den Kaufprozess nicht ab? Warum klicken sie auf die Anzeige, aber interagieren nicht mit der Landing Page?
Um das herauszufinden, nutzt ethisches Marketing vor allem wissenschaftliche Studien und konsensbasierte Forschungsmethoden.
Recherchemethoden für ethisches Marketing: eine kleine Auswahl
- Grundlagenrecherche: akademische Studien und Bücher über Psychologie, Soziologie, Marketing, Linguistik und Neurowissenschaften
- Klassische Marktforschung (beispielsweise Online-Befragungen, Telefonumfragen)
- Thank-You-Page-Umfragen auf eurer Website oder Landing Page
- Jobs-to-Be-Done-Interviews
- UX-Forschungsmethoden wie Laborstudien, Follow-Me-Home-Interviews, Tagebuchstudien und User Testing
- Linguistische Untersuchung von User Generated Content wie zum Beispiel Sprachaufzeichnungen (mit Einverständnis), Social-Media-Kommentaren, Referenzen/Rezensionen
- Ethnografische Methoden wie teilnehmende Beobachtung
Beispiel: Typische Interviewfragen zur Erforschung einer B2B-Software-Persona (Auswahl)
- Erzählen Sie mir bitte etwas über sich und Ihre Rolle im Unternehmen.
- Wenn Sie montags mit der Arbeit beginnen: Wie sieht Ihr Alltag ganz praktisch aus?
Jetzt möchte ich etwas über Ihr Leben vor [Produkt] und die spezifischen Herausforderungen erfahren, die Sie vor der Einführung [Produkt] hatten.
- Sind Sie bereit, mir von diesen Herausforderungen zu erzählen?
- Was war der Auslöser dafür, dass Sie nach so einem Produkt gesucht haben?
- Welche Kosten sind mit diesen Herausforderungen in einem durchschnittlichen Jahr verbunden (in Ihrem Team, Ihrem Unternehmen oder als Branchen-Benchmark)?
So kannst du deine Erkenntnisse für die Weiterarbeit bündeln
Für die Analyse deiner Einsichten bieten sich verschiedene Modelle an. Eines der nützlichsten stammt von Eugene Schwartz, dem Autor des legendären Werbe-Klassikers Breakthrough Advertising von 1966. Sein Modell der fünf Bewusstseinsstufen zeigt, welche Entwicklung stattfinden muss, damit ein Mensch kauft bzw. konvertiert:
Beispiel: Arbeit mit den Bewusstseinsstufen
Anhand der fünf Bewusstseinsstufen planen wir bei From Scratch Messaging-Strategien, Content-Marketing-Strategien und ganze Marketing-Funnel.
Meistens setzen wir bei Stufe 2 an, wenn die angesprochene Person ein Problem erkannt hat und nach einer Lösung sucht. Wir greifen diese Suche auf, zeigen eine Lösung, machen sie mit dem Produkt oder Angebot bekannt und sorgen dafür, dass sie entscheiden kann, ob dieses Angebot das Richtige ist – mit anderen Worten: „alles klar“. An dieser Stelle optimieren wir dann den Anmelde- oder Kaufprozess, sodass keine unnötige Reibung entsteht und die Person tun kann, was sie sich vorgenommen hatte.
Vielleicht ist euer Ziel, Problembewusstsein zu schaffen. Ihr beginnt dann bei Stufe 1.
In seinem Blogartikel Copywriting Basics: So schraubst du die Conversions nach oben beschreibt Texter Moritz Kopp diese Arbeit so:
Heutzutage geschieht häufig ein besonders gravierender Fehler im Marketing, denn immer wieder hört man, man müsse „eine Lösung verkaufen“. Das ist im Grunde auch richtig. Bevor die Lösung verkauft wird, muss aber zuerst das Problem verkauft werden. Damit ist gemeint, dass deinen Leser:innen klar wird, warum dein Produkt oder Unternehmen überhaupt Relevanz besitzt.
Stolperfalle: Problembewusstsein schaffen
Vorsicht, hier ist die Grenze zwischen Aufklärung und Manipulation schnell überschritten.
Gerade bei sensiblen Themen wie Schönheit, Gewichtsreduktion oder Geld ist das Marketing eine Gratwanderung.
Ethisch einwandfrei ist es nur, wenn euer Marketing Menschen psychisch stärkt. Platt ausgedrückt: Sie sollten sich nach dem Anschauen eures Marketings nicht hässlicher, weniger liebenswert oder erfolgloser fühlen als zuvor.
Daher empfehlen wir ein Ansetzen bei Stufe 1 vor allem bei gesellschaftlichen Problemen wie Klimakrise, sozialer Ungleichheit oder Tierleid — und weniger, um bei Menschen ein Bedürfnis nach Produkten zu wecken.
Simulationsfrage: Persona-Recherche
Stell dir vor, du möchtest eure Personas überarbeiten, um euer Marketing besser auf sie abzustimmen.
- Welche Techniken aus diesem Kapitel beherrscht ihr bereits im Team?
- Welche sind neu für dich oder dein Team?
- Was wird passieren, wenn du von deinen Mitarbeitenden in diesem Bereich eine Veränderung verlangst?
Wähle eine Recherchetechnik aus, die für euch neu ist. Nimm dir vor, darin Expertise zu gewinnen. Mach direkt den ersten Schritt, indem du dazu ein Buch kaufst oder dich für ein Seminar anmeldest.
Wie soll’s weitergehen?
Mach euer Marketing inklusiver oder stöbere direkt in der Toolbox zu Kapitel 2.