Online-Marketing gelingt nur auf einer hochwertigen Wissensbasis.

Das ist jetzt erst einmal nichts Neues.

Trotzdem wissen viele Unternehmen nicht genau, welche Daten sie brauchen und wie sie daraus nützliche Einsichten für tägliche Entscheidungen gewinnen. Vor allem in kleineren Teams oder Traditionsbetrieben, wenn Fachkräfte fehlen.

Daher ist das Ergebnis einer Studie von Speero (2021) nicht überraschend: 54 % der Unternehmen treffen Entscheidungen, ohne dabei Kund_innendaten oder -insights zu berücksichtigen. Und das, obwohl sie auf große Mengen Daten zugreifen. Beispielsweise in sozialen Medien, mittels Cookies und Werbemanager von Meta oder Google.

Das Ergebnis: Viele Briefings beruhen auf Mythen, nicht auf Fakten. Personas, Marketingstrategien und Branding bestehen nicht immer den Realitätstest. Oder sie sind so wischiwaschi, dass sie in der täglichen, taktischen Arbeit nutzlos sind.

Dies führt zu viel Rauschen und Verzerrungen in der Markenkommunikation. Das Signal wird übertönt, das Publikum verwirrt. Schlecht fürs Geschäft, wie wir im Kapitel über Calls-to-Action festgestellt haben:

„Ein verwirrter Mensch kauft nie.“

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Für immer mehr Menschen bedeutet das gute Leben, die Kontrolle über die eigenen Daten zu behalten

Zugleich werden wir alle immer vorsichtiger im Umgang mit unseren persönlichen Daten. Laut The Drum blockieren 70 % der Verbraucher_innen Cookies.. Wir nutzen Adblocker, legen Fake-Profile an, verwenden Wegwerf-E-Mail-Adressen, um an kostenlose Downloads zu kommen.

Unsere Geräte und Tools helfen dabei. Ob wir eine Marketing-E-Mail gelesen haben, bleibt immer öfter ein Geheimnis. iOS AppTrackingTransparency unterdrückt auf Wunsch das Verfolgen über mehrere Apps hinweg. Browser wie Safari, Firefox und Brave verhindern Online-Tracking. Anbieter wie Apple und Fastmail ermöglichen das Maskieren der E-Mail-Adresse in wenigen Klicks.

… und das gilt ebenso für Fachleute

Auch amerikanische Marketing-Größen wie Neil Patel halten Datenschutz für das große Thema der nächsten Jahre. Patel sieht vorher, dass Menschen dank Blockchain-Technologie ihre eigenen Daten besitzen werden. Konzerne wie Meta oder Google können diese dann nicht mehr monetarisieren, ohne dafür zu bezahlen.

Kein Wunder: In der Welt von Social-Media- und Suchmaschinenwerbung (SEA) wollen immer mehr Leute schon jetzt Geld sehen, wenn eine Marke ihren User Generated Content nutzt.

Gesetze und Strafverfolgung nehmen global zu

Staaten und Behörden weltweit greifen den Wunsch der Bevölkerung nach mehr Datenschutz auf:

  • In der EU werden DSGVO-Verstöße mit heftigen Bußen geahndet und Vorgaben durch Verordnungen geschärft.
  • Der Einsatz von Google Analytics ist in Deutschland seit Jahren umstritten und nur unter bestimmten Bedingungen DSGVO-konform.
  • Mehr und mehr US-amerikanische Staaten führen DSGVO-ähnliche Gesetze ein.
    • Allein 2024 traten in Florida, Texas, Oregon, Montana und Colorado neue Datenschutzgesetze in Kraft.
    • Zusätzlich begann die Vollstreckung des Universal Opt-Out Mechanism laut Colorado Privacy Act.
    • Auf Bundesebene geht außerdem die Federal Trade Commission gegen „kommerzielle Überwachung und laxe Datensicherheitspraktiken“ vor.

Dies führt zu Einschränkungen für stark personalisierte, gezielte Werbung. Einige Google-Ads-Funktionen wie Customer Match, Audiences API und Floodlight Remarketing Listen werden weniger wirksam, weil mehr Menschen über Global Privacy Control ihre Zustimmung verweigern.

Das Ende des Drittpartei-Cookies?

Schon länger plant Google, den Drittpartei-Cookies den Saft abzudrehen. In Computersprache: Im Browser Chrome sollten sie als schlechter Stil „deprecated“ werden.

Nicht von ungefähr: Googles eigene Forschung zeigt, dass 80 % der Menschen sich online um die Sicherheit ihrer Daten sorgen. 49 % wechseln die Marke, wenn sie ihre Daten nicht geschützt sehen. Zugleich wollen 74 % nur Werbung sehen, die für sie relevant und nützlich ist.

Googles Antwort auf den scheinbaren Widerspruch:

  • Privacy-First-Ansatz einbauen
  • auf Vertrauen setzen und
  • den Kontext nutzen.

Begründung des Unternehmens: Präzision ist überbewertet, selbst in der Online-Werbung. Vor allem, wenn man vor lauter Präzision den Wald nicht mehr sieht – und keine Handlungsanweisung fürs Marketing ableiten kann.

Was das für den Daten- und Werbekonzern konkret bedeutet, wird sich 2025 zeigen. Chrome-Nutzende sollen nach Googles Aussage vor die Wahl gestellt werden, wie sie mit Drittpartei-Cookies umgehen wollen.

Die genannten Prinzipien eignen sich aber seit Jahren als Fundament für ein datengestütztes Marketing, das ethischen Ansprüchen genügt.

Privacy First: Datenschutz als Menschenrecht

Eine Forrester-Studie für Precis Digital von 2022 stellte fest: 79 % der Unternehmensleitungen halten den Privacy-First-Ansatz für die Zukunft. Dr. Ann Cavoukian schuf den Begriff in den 1990er-Jahren in Zusammenarbeit mit Datenschutzbehörden weltweit.

Datenschutz-Fachperson Maria Arango Kure fasst auf deren Website den Kern dieses Ansatzes zusammen (unsere Übersetzung):

  • Menschen haben ein Recht, über ihre Daten zu bestimmen. Organisationen sind ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig. Dazu ist es nötig, mit Fragen des Datenschutzes transparent und ehrlich umzugehen. Außerdem gibt menschenzentriertes Design den Nutzenden das Zepter in die Hand. Sie können frei entscheiden, was mit ihren Daten geschieht.
  • Es reicht nicht, sich an den Buchstaben des Gesetzes entlang zu hangeln. Organisationen müssen Risiken vorhersehen und darauf reagieren, bevor Datenlecks entstehen. Der Schutz der Privatsphäre muss integraler Bestandteil der Gestaltung des Geschäftsmodells, von Inhalten und Angeboten sein. Nur so entkommen wir dem Mythos vom Nullsummenspiel: Datenschutz und andere wichtige Ziele wie eine gute UX oder Geschäftserfolg schließen einander nicht aus.
  • Datenschutz sollte in allen Organisationen der Standard-Modus sein. Das bedeutet, dafür zu sorgen, dass Nutzende keinerlei Maßnahmen zu ergreifen brauchen, um ihre Daten zu schützen. Daten werden von vornherein auf sichere Art erhoben, sicher verarbeitet und sicher gelöscht.

Seid ihr eingeladen?

Schon seit mehreren Jahren werben Marketing-Experten wie Ray Schwartz oder Seth Godin für „einladungsbasiertes Marketing“. Wichtig dabei: Es sind die Verbraucher_innen, die das Unternehmen einladen, Daten zu erheben und ihnen Marketingbotschaften zu senden.

Diese Haltung weist über ein reines Opt-In hinaus. Legitimes Interesse reicht bei weitem nicht, um die Anforderungen von einladungsbasiertem Marketing zu erfüllen. Erst recht, wenn legitimes Interesse als Schafspelz für Formen des Behavioral Targeting eingesetzt wird, denen Menschen nicht ohne weiteres zustimmen würden. Wer will seine Informationen schon einem Konglomerat von Dutzenden Firmen preisgeben, wenn er_sie auf einer Website einen „Gefällt mir“-Button klickt? Genau das passiert aber zuweilen. Dieser (englischsprachige) Hintergrundartikel von Blacklight erklärt den Zusammenhang.

Einladungsbasiertes Marketing funktioniert nur in intakten Beziehungen zwischen Marke und Publikum. Vertrauenswürdiges Verhalten bringt eurem Unternehmen also mehr als Loyalität und einen exzellenten Ruf. Auch so genannte First Party Data stehen euch umfassender zur Verfügung: Menschen geben eher ihre Kontaktdaten preis, nehmen an Umfragen teil oder melden sich zu Recherche-Interviews. Zugleich verfälschen weniger Fake-Daten den Info-Pool. Wer auf derart qualitativ hochwertige Daten zugreifen kann, hat alle Zutaten für erfolgreiches Marketing.

Und doch hinkt die Marketingbranche der Praxis vielerorts hinterher. So sagte Laura Kell, Chief Data & Product Officer bei Havas Media Group, der Branchenzeitschrift The Drum (unsere Übersetzung):

Die Branche orientiert sich oft daran, was man mit Daten machen kann: wie wir mit gewissen Praktiken davon kommen. Stattdessen sollten wir für einen Umgang mit Daten sorgen, der auf ordnungsgemäßer Nutzungserlaubnis beruht. … Agenturklient_innen sollten die Absicht hinter den Regeln respektieren, statt Gesetze buchstabengetreu umzusetzen.

Back to the Roots: der Kontext ist voller Infos

Analoges Marketing denkt schon immer darüber nach, in welchen Kontexten eine Anzeige, ein Angebot oder ein Upsell erscheint. Ursprünglich setzte auch Google auf kontextbasierte Suchmaschinenwerbung. Nun gewinnt der Kontext fürs Online-Marketing neue Relevanz.

Gerade im ethischen Marketing spielt er eine größere Rolle als präzises Targeting. Kein Wunder, denn der Kontext ist ohne Überwachung oder Eindringen in die Privatsphäre ermittelbar. Ein Quäntchen Empathie, Kreativität und Strategie sind alles, was du brauchst. Das Beispiel des niederländischen öffentlich-rechtlichen Senders NPO zeigt: Kontextbasiertes Marketing funktioniert nicht schlechter als Behavioral Targeting. Wired berichtet, dass sich der Werbeumsatz von NPO nach dem Umstieg 2020 sogar erhöhte.

Wie soll’s weitergehen?

Lote Chancen und Grenzen von KI im ethischen Marketing aus oder stöbere direkt in der Toolbox zu Kapitel 3.