Angetrieben von eurer Mission hilft ethisches Marketing eurem Publikum dabei, besser zu handeln: sinnvoller, nachhaltiger, mit positivem Resultat. Für sie selbst, die Gesellschaft und die Umwelt.
Dabei entstehen schnell Widersprüche und Spannungen.
Einerseits wollt ihr eure Conversion erhöhen, mehr verkaufen, mehr Geld verdienen. Andererseits führt Konsum (fast) immer zu mehr Umweltbelastung. Meist ist das ökologischste Produkt nämlich das, was man bereits hat. Shoppen als Selbstzweck (Konsumismus) als Kehrseite unserer Leistungsgesellschaft birgt viele Risiken: von Schulden über Kaufsucht und Depressionen bis zur Spaltung der Gesellschaft.
Als Antwort auf diese Problematik haben sich unter ethisch-nachhaltig arbeitenden Unternehmen zwei Richtungen entwickelt: Suffizienz-Orientierung und Werbung für einen “SHIFT” hin zu öko-sozial verantwortlichem Konsum.
Suffizienz-orientiertes Marketing erfolgreich umsetzen
Gerade für produktbasierte Branchen scheint Suffizienz mit Conversion-Rate-Optimierung zunächst unvereinbar. Doch die meisten Unternehmen können eine Suffizienz-Philosophie zumindest stellenweise umsetzen.
Information und Bildung stehen bei Suffizienz-Marketing im Mittelpunkt. Ziel ist, Menschen beim langfristigen, effektiven Decken ihrer Bedürfnisse zu helfen. Zum Beispiel helfen Marketingkampagnen dem Publikum dabei, zwischen Begehrlichkeiten und echtem Bedarf zu unterscheiden. Außerdem verzichten suffizient handelnde Unternehmen auf kurzlebige Trends, geplante Obsoleszenz und „Überverkauf“.
Vorteile von Suffizienz-orientiertem Marketing
Suffizienz kann sogar profitabler sein und höhere Marktakzeptanz entfalten als traditionell wachstumsorientierte Ansätze. Zu diesem Schluss kommt die Studie von Bocken und Short aus dem Jahr 2016. Die Autor_innen beobachten folgende Resultate bei untersuchten Unternehmen:
- Premium-Preise
- loyalere Kund_innenbeziehungen
- höherer Marktanteil durch höhere (langlebigere) Produktqualität
- niedrigerer Energie- und Rohstoffverbrauch
Beispiele für Suffizienz-orientiertes Marketing
- Einzel- statt Mengenrabatte, damit Menschen nicht mehr kaufen, als sie brauchen: zum Beispiel 33 % Rabatt auf jeden Artikel statt 2 für 1
- Produkte und -serien längere Zeit verfügbar halten, damit ein Nachkauf bei Bedarf problemlos möglich ist. Im Marketing darauf hinweisen, um Fear of Missing Out zu vermeiden
- Reparaturen anbieten und ermöglichen
- bei verderblichen Waren Packungsgrößen verringern (und Preise proportional anpassen), um beispielsweise Lebensmittelverschwendung zu vermeiden
- ‘Choice Editing’: umwelt- und gesundheitsschädliche Produkte aus dem Sortiment nehmen oder weniger stark bewerben
- Marketingbotschaften, die Menschen anregen, nicht unüberlegt zu kaufen (wie die berühmte „Don’t buy this jacket“-Anzeige von Patagonia)
- Geschäfts- und Preismodell anpassen, etwa durch Leih- und Sharing-Modelle
- Gebrauchtware im Umlauf halten, zum Beispiel durch ein eigenes Secondhand-Outlet
- Ausverkauf, Sales, Vertriebskommission und alles, was Menschen „künstlich“ zum Kaufen motiviert, vermeiden
Voraussetzungen für Suffizienz-Marketing
Praktische Integrität bildet die Hauptbedingung für erfolgreiche Suffizienz-Orientierung. Viele der von Bocken und Short identifizierten Voraussetzungen sind nämlich vom Marketingteam alleine nicht zu stemmen. In Anlehnung an deren Paper geben wir dir in der folgenden Übersicht ein Selbst-Check-Tool an die Hand. Damit kannst du prüfen, wie die Suffizienzreise deines Unternehmens weitergehen könnte – und mit wem du daran arbeiten kannst:
Selbst-Check: Welche Voraussetzungen für Suffizienz erfüllt dein Unternehmen?
Erfüllt? Voraussetzung Verantwortlich & Beteiligt Ja / Nein Unser Marketing zielt nicht auf extreme, kurzfristige Verkaufsergebnisse ab. D2C Marketing, finanzielle Zielsetzungen, Business Development, Sales Ja / Nein Wir arbeiten kund_innenorientiert: langfristige Beziehungen und Empfehlungen sind uns wichtig. Brand Marketing, Sales, Kund_innenservice und -Support, Customer Success Ja / Nein Qualität und Langlebigkeit stehen im Vordergrund – vom Produktdesign über die -palette und -herstellung bis zu Preisgestaltung und Service. Finance, Produktmanagement, Produktmarketing, Brand Marketing, Kund_innenservice und -Support, Customer Success Ja / Nein Nonkonformistische Unternehmenskultur: Wir haben den Mut und die Ausdauer, uns Trends zu widersetzen. Firmenleitung, Personalabteilung, Corporate Communications, alle Ja / Nein Unser Intention Stack wird intern und extern konsequent kommuniziert. Corporate Communications, Rechtsabteilung, Brand Marketing, Einkauf, Sales, alle Ja / Nein Organisches Wachstum ist uns wichtiger als exponentielle Steigerungen, denn so schützen wir unseren Intention Stack. Firmenleitung, Finance, Marketing, Sales Ja / Nein Performanz-Indikatoren und Leistungsprämien passen zum Suffizienz-Gedanken (zum Beispiel Verzicht auf Vertriebs-Kommission zugunsten ganzheitlich gestalteter Bonussysteme). Firmenleitung, Finance, Marketing, Sales, Produktmanagement Ja / Nein Die Firmenleitung treibt unsere Suffizienz-Orientierung bewusst an. Firmenleitung, Finance, Marketing, Sales, Produktmanagement
SHIFT-orientiertes Marketing erfolgreich umsetzen
Das SHIFT-Modell beschreibt, welche Faktoren entscheiden, ob jemand nachhaltig konsumiert. Marketing – vom Produktdesign bis zur Werbung – kann diese Faktoren aufgreifen, um ökologisch und sozial verantwortliche Konsumentscheidungen zu erleichtern. Viele Sozialunternehmen und öko-sozial ausgerichtete Marken tun dies auch bereits.
Beispiele für SHIFT-orientiertes Marketing
Sozialer Einfluss:
- „Sinnfluencer_innen“ (Influencer_innen, die für öko-soziale Marken werben, zum Beispiel Topmodel Anna Hiltrop, die für Waschies wirbt)
- Affiliate- und Empfehlungssysteme
- Referenzen
- Gamification mit Leaderboard
Gewohnheitsbildung:
- Klopapier-Abonnements wie das von Goldeimer
- Stempelkarten für pflanzliche Milch im Stammcafé
- Apps, die „Streaks“ mit Coupons oder digitalen Experiences belohnen
- Feedback vom Supermarkt zum Umwelteinfluss der Lieferoptionen.
Individuelles Selbst:
Botschaften, die Menschen darin bestärken, dass sie die Welt zum Positiven verändern können – oder sie an ihre Werte erinnern.
Die „Sanft zur Haut“-Kampagne von Ecover positioniert sein Waschmittel mit einem klaren funktionalen Nutzen: besonders hautschonend, entfernt Flecken schon bei 20°C, wodurch Verbraucher_innen tatsächlich weniger Energie verbrauchen und gleichzeitig Flecken zuverlässig entfernen. Die Kommunikation verbindet ökologische Eigenschaften mit einem spürbaren Vorteil in der Nutzung: bessere Hautverträglichkeit, sauberer bei niedriger Temperatur. Dieser Ansatz macht Nachhaltigkeit zur Ursache für bessere Performance im Alltag, nicht nur zum Imagefaktor.
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Gefühle & Kognition: Hier spielen sich vielleicht die meisten öko-sozialen Marketingbotschaften ab. Die klassische Werbung für den guten Zweck setzt beispielsweise auf Information, Bildung und Öko-Label.
- So auch die Details zur Nachhaltigkeit bei Produkten im Avocado Store.
Doch nur, wenn wir mit Hirn und Herz entscheiden, sind wir auch langfristig damit happy. Deshalb setzt erfolgreiches Marketing auch auf positive und negative Emotion:
- Angst vor der Klimakrise
- Schuldgefühle wegen des eigenen Beitrags dazu
- Trauer um aussterbende Spezies
- Tierliebe und -mitleid
- Stolz auf den eigenen Umweltschutz
- Hoffnung beim Kauf eines Rucksacks aus Meeresplastik (vielleicht schaffen wir es ja wirklich, die Meere aufzuräumen!)
- Euphorie beim Waldbaden
- Hedonismus im veganen Restaurant
Greifbarkeit:
- Marketing für sinnhafte Entscheidungen, die ganz konkret aufs Hier und Jetzt verweisen – wie die tado-Energiespargarantie
- Werbung, die Empathie mit zukünftigen Generationen weckt, sodass wir enkeltauglich entscheiden wollen
- Konkrete, umsetzbare Botschaften, die uns die Suffizienz schmackhaft machen
So schließt sich der Kreis!
Voraussetzungen für SHIFT-Marketing
Wer als Unternehmen sein Publikum zum verantwortlichen Handeln auffordern will, muss einige Voraussetzungen erfüllen. Sonst droht das Marketing in Desinformation und Greenwashing abzurutschen – Fehltritte, die Marken nachhaltig zerstören können.
Desinformation im Marketing
Fake News kennen wir vor allem als fragwürdige Nachrichten. Doch auch PR, Werbung und Marketing können die Wahrheit verdrehen. Nicht immer wird das geahndet.
Eine häufig verwendete unethische Taktik: FUD (Fear, Uncertainty and Doubt – Angst, Ungewissheit und Zweifel).
Sie ist besonders beliebt, weil sie meist unter dem Radar von Berufsverbänden und Gesetzgebung bleibt. Schließlich wird hier nicht über das eigene Produkt gelogen, sondern – vorwiegend in Presse und Medien – es werden Menschen verunsichert. FUD dient oft als Ablenkungsmanöver für Firmen, die besonders stark zur Klimakrise oder gesellschaftlichen Problemen beitragen.
Beispiele für FUD (Fear, Uncertainty & Doubt)
- Das klassische Ablenkungsmanöver: 2004 „erfand“ Ogilvy & Mather den individuellen CO₂-Fußabdruck von Verbraucher_innen in einer Kampagne für BP. Fortan konzentrierten sich viele Menschen, Verbände und Medienberichte darauf, was jede_r von uns für den Klimaschutz tun kann. Diese toxische Mischung aus Zukunftsangst und Zweifel am eigenen Handeln fördert Eco Anxiety. Noch dazu reduziert sie das Interesse am ungleich wichtigeren CO₂-Fußabdruck der Ölindustrie.
- Die Reduktion von Lebensmittelabfällen ist laut Project Drawdown Klima-Lösung Nummer 1. Dennoch entzünden sich vor allem in sozialen Medien immer wieder hitzige Debatten über Maßnahmen, die Lebensmittelverschwendung vorbeugen. Im Brennpunkt: Verpackungen, Kühlung oder eingemachte Ware in Dosen. Mal gilt die Entrüstung dem Plastik, mal der benötigten Energie, mal dem Verarbeitungsgrad der Ware. Nicht immer ist klar, wer daran ein wirtschaftliches Interesse verfolgt. Aus ethischen Gründen raten wir allen Marken davon ab, sich an derartigen Empörungswellen zu beteiligen.
- Nissans Marketing zum Modell Qashqai mit e-POWER-Antrieb „befeuert“ Zweifel und Unsicherheit über die E-Mobilität. Gezielt spielt sie auf Sorgen an, das Laden sei langwierig, umständlich und schwierig: „Wer sagt, elektrisch fahren ginge nicht ohne Ladesäule?“
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(Bildquellen: W&V, Auto Schubert)
Zugleich wird ein Auto als elektrisch präsentiert, in dem der Elektromotor lediglich dazu dient, den Benzinmotor zu unterstützen. Als reines E-Auto ist es also gar nicht nutzbar. Von manchen in der Werbebranche als Geniestreich gefeiert, aus unserer Sicht ein klarer Greenwashing- und FUD-Fall.
Mit dem Vermeiden von Falschaussagen beschäftigt sich eine eigene Beratungs-Branche. Hier wollen wir daher lediglich eine erste Checkliste bieten:
Checkliste: Greenwashing & Desinformation vermeiden
- Existieren Daten zur Öko- oder Sozialbilanz des Produkts/der Marke? Wenn ja, sind diese Daten…
- aktuell?
- eindeutig?
- vollständig (oder werden weniger schmeichelhafte Daten verschwiegen)?
- konkret und auf das tatsächliche Produkt/die Marke bezogen (statt auf einen branchentypischen Durchschnittswert)?
- nachvollziehbar (offen zugänglich, mit Quellenangaben, …)?
- unabhängig erhoben, geprüft, bestätigt?
- Werden die Daten wahrheitsgemäß präsentiert? – Einige Kriterien:
- Wird das Erfüllen gesetzlicher Vorgaben nicht als Werbeaussage missbraucht?
- Ist das angesprochene Publikum wahrscheinlich in der Lage, diese Daten in dieser Darstellung korrekt zu interpretieren? (Angaben in kg CO₂e sind beispielsweise für viele Menschen schwer verständlich.)
- Entsprechen ausdrückliche oder implizite Vergleiche mit Alternativen der Alltagserfahrung (statt sich ausschließlich an Laborwerten zu orientieren)?
- Erkennt die Marketingbotschaft den realen Einflussbereich der Konsumentscheidung an? – Das heißt unter anderem:
- Wird die Pflicht, für eine lebenswerte Zukunft zu sorgen, nicht auf private Entscheidungen von Individuen abgewälzt?
- Wird die politische Dimension von Umweltschutz und fairem Handel anerkannt?
- Übernimmt die Marke umfassend Verantwortung für ihren Beitrag zu einer enkeltauglichen Zukunft?
Öko-sozial ausgerichtetes Marketing: nicht immer unproblematisch
Zu guter Letzt wollen wir nicht verschweigen, dass auch Marketing mit guten Absichten seine Fallstricke hat. Das heißt auf keinen Fall, dass wir davon abraten. Doch die Details wollen gut überlegt sein, und seine Wirkkraft sollten wir nicht überschätzen.
Denn nicht alle Konsumentscheidungen treffen Menschen bewusst. Egal, wie überzeugend eure Daten sind, wie emotional euer Werbespot und wie gut euer Service: Spontankäufe kommen vor.
Handelt ein Unternehmen rein im eigenen Interesse, wird auch SHIFT-Marketing schnell zur unethischen Manipulation.
Essenzieller Prüfstein ist daher die Frage: Helfen wir mit diesem Marketing tatsächlich unserem Publikum – oder helfen wir in erster Linie der Firma, mehr zu verkaufen?
Dazu ist es nötig zu wissen, was Menschen wirklich helfen würde, sinnvolle Kaufentscheidungen zu treffen. (Im Kapitel über Marketing als Beziehungspflege gehen wir auf Persona-Forschung genauer ein.)
Überschätzen sollten wir öko-soziales Marketing aber auch deshalb nicht, weil Konsum eben nicht alles ist. Das geflügelte Wort von der „Wahl mit dem Geldbeutel“ hat sich zwar etabliert. Doch weitaus mächtiger sind die Wahl mit dem Stimmzettel sowie das politische Engagement in Parteien und Verbänden. Nur durch Gesetze und Kodizes lassen sich die Verhältnisse über den eigenen Haushalt hinaus dauerhaft verändern.
Kommt ins Tun: Werbekampagnen auf SHIFT und Suffizienz untersuchen
Diese 9 Werbekampagnen haben die t3n-Redaktion besonders berührt.
- Welche SHIFT- und Suffizienz-bezogenen Taktiken erkennst du in ihnen wieder?
- Welche Taktik möchtest du im Marketing deines Unternehmens als Erstes einsetzen?
Wie soll’s weitergehen?
Finde deine Community, um die Branche zu transformieren. Oder stöbere direkt in der Toolbox zu Kapitel 4.